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2.6 Lieferung von Gegenständen
2.6.1 Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung
Besteht eine einheitliche Leistung sowohl aus Lieferungselementen als auch aus Elementen einer sonstigen Leistung, so richtet sich die Einstufung als Lieferung oder sonstige Leistung danach, welche der Elemente aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers und unter Berücksichtigung des Willens der Vertragsparteien den wirtschaftlichen Gehalt der Leistung bestimmen.
Gesetzlich definiert ist lediglich der Begriff der Lieferung. In § 3 Abs. 1 UStG wird die Lieferung als Leistung definiert, durch die der Unternehmer (oder in seinem Auftrag ein Dritter) den Abnehmer (oder in dessen Auftrag einen Dritten) befähigt, in eigenem Namen über einen Gegenstand zu verfügen. »Gegenstände« im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG sind körperliche Gegenstände (Sachen nach § 90 BGB, Tiere nach § 90a BGB), Sachgesamtheiten und solche Wirtschaftsgüter, die im Wirtschaftsverkehr wie körperliche Sachen behandelt werden, z.B. Elektrizität, Wärme und Wasserkraft.
Diese Verschaffung der Verfügungsmacht stellt den von den Beteiligten endgültig gewollten Übergang von wirtschaftlicher Substanz, Wert und Ertrag eines Gegenstands vom Leistenden auf den Leistungsempfänger dar. Der Abnehmer muss hierbei faktisch in der Lage sein, mit dem Gegenstand nach Belieben zu verfahren, insbesondere, ihn wie ein Eigentümer zu nutzen oder auch veräußern zu können. Die Verschaffung der Verfügungsmacht ist ein Vorgang vorwiegend tatsächlicher Natur, der in der Regel – aber nicht zwingend – mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentumsübergang verbunden ist. So ist beispielsweise die entgeltlich eingeräumte Bereitschaft zur Verschaffung der Verfügungsmacht an einem Gegenstand nicht als Lieferung, sondern als »sonstige Leistung« einzustufen.
2.6.2 SAP-Abbildung einer Lieferung
Bezogen auf das SAP-System, startet der logistische Vorgang einer Lieferung mit der Auftragserfassung. Mit der Transaktion VA01 werden für die Umsatzsteuerfindung bereits wesentliche Informationen eingegeben. Neben dem Auftraggeber ist hier vor allem der Warenempfänger zu nennen. Diese sogenannten Partnerrollen können, wie im Beispiel in Abbildung 2.30, unterschiedlich ausgestaltet sein. Der Auftraggeber/Leistungsempfänger sitzt hier im EU-Ausland (Frankreich), die Ware (Pumpe) soll jedoch in Deutschland verbleiben (abweichender Warenempfänger).
Abbildung 2.30: Auftragserfassung
Die Incoterms legen fest, welche Transportkosten der Verkäufer, welche der Käufer zu tragen hat und wer im Falle eines Verlustes oder Beschädigung der Ware das finanzielle Risiko trägt (Gefahrübergang). Die Incoterms stellen allerdings lediglich Indizien für die umsatzsteuerrechtliche Behandlung dar. Die Gefahrtragung erfolgt beispielsweise bei FOB (= Free on Board, Verladehafen) und CFR (= Cost and Freight, Bestimmungshafen) sobald sich die Güter an Bord des Schiffes befinden. Die im Beispiel verwendete Abkürzung DAF (= Delivered At Frontier, vereinbarter Lieferort an der Grenze) wird hier keine aktive Verwendung finden, weil die Ware in Deutschland bleibt. Um das im Hintergrund bereits durchlaufene Kalkulationsschema sichtbar zu machen, wird die Position markiert und das Icon betätigt. Entsprechend der Abbildung 2.31 werden die unterschiedlichen Preiselemente aufgeführt. Neben dem Nettopreis (PR00) und dem intern eingesetzten Verrechnungspreis (VPRS) ist MWST die obligatorisch zu verwendende Konditionsart. Findet das Preisschema an dieser Stelle keine Kondition, meldet das SD-Modul einen Fehler, und der Vorgang lässt sich nicht abschließen. Da vorliegend der Steuersatz von 19 % anzuwenden ist, wurde für MWST der Steuerschlüssel für 19 % herangezogen.
Abbildung 2.31: Auflistung der Preiselemente
Steuerrechtlich ist der Sachverhalt für eine inländische Lieferung damit richtig erfasst. Mittels Doppelklick auf die Zeile MWST lässt sich herausfinden, welches Steuerkennzeichen mit dem Steuersatz 19 % verknüpft ist. Das Ergebnis dieser Abfrage ist in Abbildung 2.32 unter Steuerkennzeichen »AD« zu sehen:
Abbildung 2.32: Automatisch ermitteltes Steuerkennzeichen
Wie in der SAP-Logistik üblich, werden sowohl die Konditionsbasis von 2.600 EUR als auch der prozentuale Steuerbetrag von 494 EUR transparent offengelegt. In anderen Ländern mit komplizierteren Rechenregeln für die Umsatzsteuer ist das sicherlich vorteilhaft. Mit dem Icon ist es möglich, genauer zu hinterfragen, warum ein inländischer Steuervorgang gefunden werden konnte. Bei den in Abbildung 2.33 dargestellten Details werden die drei systemseitig hinterlegten Tabellen aufgeführt:
- EU (Zugriff 08 – Abgangsland/Empfangsland),
- Drittland (Zugriff 20 – Steuern Export) und
- Inland (Zugriff 10 – Steuern Inland).
Passend zum Konditionssatz MWST wurde ein Konditionssatz für das Inland gefunden.
Abbildung 2.33: Details zur Konditionsart MWST
Damit verlassen wir die Auftragserfassung und kommen zu den Einstellungsmöglichkeiten im SAP-System, genauer gesagt, den möglichen Einstellungen für die gegebenen steuerlichen Sachverhalte. Mittels Transaktion VK12 gelangen Sie zu den Konditionssätzen der Konditionsart »MWST«. Hier schließt sich der Kreis zur Auftragsanalyse, da auch in diesem Fall die im SAP-System hinterlegten Tabellen für EU, Inland und Drittland dargestellt werden. Im Beispiel der Abbildung 2.34 wird die Schlüsselkombination Steuern Inland ausgewählt.
Abbildung 2.34: Konditionssätze ändern
Auch wenn sich unser Buchungskreis im vorliegenden Beispiel in Deutschland befindet, ist das Verfahren für andere Länder entsprechend zu handhaben. Für einen Buchungskreis in der Schweiz müsste in einem solchen Fall als Länderkennung lediglich CH eingetragen werden. Mit einem Gültigkeitsdatum versehen, erscheinen die für das Inland definierten Steuerkennzeichen. Abbildung 2.35 zeigt für die Kombination aus der jeweiligen Steuerklassifikation für Kunde (1) und Material (1) den vollen Steuersatz von 19 %. Sollte es auch Vorgänge mit ermäßigtem Steuersatz geben, so ist dieses im Materialstammsatz zu kennzeichnen. Entsprechend müsste für diese Tabelle ein zweiter Eintrag vorgenommen werden. Ist nur der Materialstammsatz gepflegt und die zugehörige Kondition fehlt an dieser Stelle, dann kommt es bei der Auftragserfassung zu einer Fehlermeldung.
Abbildung 2.35: Steuerkonditionen im Inland
2.6.3 SAP-Abbildung einer sonstigen Leistung
Im Gegensatz zu den oben dargestellten Lieferungen sind sonstige Leistungen gesetzlich nicht definiert. Das Gesetz trifft lediglich eine Negativabgrenzung. Sonstige Leistungen sind hiernach Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG).
Als sonstige Leistungen kommen insbesondere in Betracht:
- Dienstleistungen,
- Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen (z.B. Vermietung, Verpachtung, Darlehensgewährung),
- Einräumung eines Nießbrauchs,
- Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Patenten, Urheberrechten, Markenzeichen- und ähnlichen Rechten,
- Reiseleistungen im Sinne des § 25 Abs. 1 UStG sowie die
- Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter (z.B. Firmenwert, Kundenstamm oder Lebensrückversicherungsverträge, Verzicht auf die Ausübung einer Tätigkeit oder entgeltliche Unterlassung von Wettbewerb).
SAP-Kennzeichen für Lieferung/sonstige Leistung
Wie bereits angedeutet, benötigt das SAP-System für die korrekte steuerliche Abbildung eine Differenzierung zwischen »Lieferung« und »sonstiger Leistung«. Auch hierfür bietet sich der Materialstammsatz an.
Wie in Abbildung 2.36 zu erkennen, kann eine eigene Steuerklassifikation im Materialstammsatz die sonstigen Leistungen identifizierbar machen. Damit einhergehend ist eine Vervollständigung der Konditionstabelle mittels Transaktion VK12 erforderlich, um dort das richtige Steuerkennzeichen für den jeweiligen Geschäftsvorfall zu hinterlegen.
Abbildung 2.36: Kennzeichnung als Dienstleistung
Der Vollständigkeit halber seien unentgeltliche Wertabgaben erwähnt, welche den Lieferungen oder sonstigen Leistungen kraft Gesetz gleichgestellt sind – beispielsweise, wenn keine Gegenleistung vereinbart ist und/oder die Leistung für den Privatbereich des Unternehmers oder seiner Arbeitnehmer erfolgt. Weil Lieferungen oder Leistungen grundsätzlich nur dann der Umsatzsteuer unterliegen, wenn ein Leistungsaustausch stattfindet, ist es aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung erforderlich, unentgeltliche Wertabgaben ebenfalls zu besteuern. Durch die Besteuerung wird der Vorsteuerabzug, der beim Erwerb des Gegenstandes für das Unternehmen erfolgte, sofern er überhaupt rechtlich zulässig war, rückgängig gemacht.
Abbildung 2.37 zeigt eine zusammenfassende Übersicht zur Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen.
Abbildung 2.37: Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung
2.6.4 Sonderfall: Abgrenzung Werklieferung und Werkleistung
Nach der gesetzlichen Definition handelt es sich um eine Werklieferung, sofern der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstands übernommen hat und hierbei selbst beschaffte Stoffe verwendet, bei denen es sich nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt (vgl. § 3 Abs. 4 UStG). Unter Zutaten und sonstigen Nebensachen in diesem Sinne sind Lieferungen zu verstehen, die bei einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht des Durchschnittsbetrachters nicht das Wesen des Umsatzes bestimmen (vgl. BFH-Urteil vom 9.6.2005, V R 50/02, BStBl. 2006 II S. 98). Für die Frage, ob es sich um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt, kommt es daher nicht auf das Verhältnis des Werts der Arbeit/des Arbeitserfolgs zum Wert der vom Unternehmer beschafften Stoffe an. Es ist vielmehr entscheidend, ob diese Stoffe nach ihrer Art sowie dem Willen der Beteiligten als Haupt- oder als Nebenstoffe bzw. Zutaten des herzustellenden Werks anzusehen sind (vgl. BFH-Urteil vom 28.5.1953, V 22/53 U, BStBl. III S. 217). Die Unentbehrlichkeit eines Gegenstands allein macht diesen noch nicht zu einem Hauptstoff.
Dies bedeutet Folgendes: Besteht das Werk aus mehreren Hauptstoffen, bewirkt der Werkunternehmer bereits dann eine Werklieferung, wenn er nur einen Hauptstoff oder einen Teil eines Hauptstoffs selbst beschafft hat, während alle übrigen Stoffe vom Besteller beigestellt werden.
Werklieferung
Unternehmer U erhält den Auftrag, aus ihm überlassenen Papierbögen ein Buch mit Ledereinband herzustellen. U beschafft das Leder selbst. Beim Leder für den herzustellenden Einband handelt es sich um einen Hauptstoff. Es liegt eine Werklieferung vor.
Verwendet der Werkunternehmer bei seiner Leistung hingegen keinerlei selbst beschaffte Stoffe oder nur Stoffe, die als Zutaten oder sonstige Nebensachen anzusehen sind, handelt es sich um eine Werkleistung. Diese ist nach den für sonstige Leistungen geltenden Grundsätzen zu beurteilen.
Materialbeistellung
Schreiner U1 soll im Auftrag des Unternehmers U2 einen Schrank fertigen. Hierfür stellt U2 dem Schreiner Holz zur Verfügung. Die Beistellung des Holzes wird für die Beurteilung der Leistung nicht beachtet. Es handelt sich in diesem Fall nicht um eine (Werk-)Lieferung, sondern lediglich um eine sonstige Leistung (Werkleistung).
Auch die Sonderfälle der Werklieferung bzw. Werkleistung lassen sich im SAP-System über eine Kennzeichnung im Materialstammsatz (Kennzeichen A/B) identifizieren (siehe Abbildung 2.38) und in der Konditionstabelle (Transaktion VK12) anschließend gesondert behandeln.
Abbildung 2.38: Differenzierung Werklieferung und Werkleistung
2.6.5 Reparaturen
Reparaturen beweglicher körperlicher Gegenstände können in Form einer Werklieferung oder Werkleistung erbracht werden. Die Abgrenzung richtet sich damit nach den für diese geltenden, bereits dargestellten Kriterien. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist an dieser Stelle zu entscheiden, ob die charakteristischen Merkmale einer Lieferung oder einer sonstigen Leistung überwiegen (vgl. EuGH-Urteile vom 2.5.1996, C-231/94, BStBl. 1998 II S. 282, und vom 17.5.2001, C-322/99 und 323/99, EuGHE I S. 4049, sowie BFH-Urteil vom 9.6.2005, V R 50/02, BStBl. 2006 II S. 98). Auch hier kann allein das Verhältnis des Arbeitswerts/Arbeitserfolgs zum Wert der vom Unternehmer beschafften Stoffe lediglich einen Anhaltspunkt für die Einstufung des Umsatzes als Werklieferung oder Werkleistung bieten (vgl. EuGH-Urteil vom 29.3.2007, C-111/05, EuGHE I S. 2697). Nach Verwaltungsauffassung kann vereinfachend von einer Werklieferung ausgegangen werden, wenn der Entgeltanteil für das bei der Reparatur verwendete Material mehr als 50 % des für die Reparatur berechneten Gesamtentgelts beträgt. Dies gilt jedoch nur, sofern nach den vorgenannten Abgrenzungskriterien nicht zweifelsfrei entschieden werden kann, ob die Reparaturleistung als Werklieferung oder Werkleistung zu qualifizieren ist.
Nachdem dieser Abschnitt sowohl der Abgrenzung von »Lieferung« und »sonstiger Leistung« als auch den Sonderfällen »Werklieferung« bzw. »Werkleistung« gewidmet war, werden wir im nächsten Abschnitt näher auf den Ort der Lieferung eingehen.
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